Die Österreichische Kopfschmerzgesellschaft möchte anlässlich des Welt-Kopfschmerztages am 5. September mehr Bewusstsein für Migräne-Patient:innen schaffen. Nach wie vor wird die Erkrankung von vielen nicht ernst genommen.
Eine besonders quälende Form von Kopfschmerz ist die Migräne. Weltweit leiden etwa 13 Prozent der Bevölkerung daran. In Österreich ist rund eine Million Menschen von dieser komplexen neurologischen Erkrankung betroffen, die die Lebensqualität enorm einschränkt. Oft mit weitreichenden Auswirkungen auf das berufliche und soziale Leben. Dennoch machen Betroffene häufig die Erfahrung, mit ihrer Erkrankung nicht wirklich verstanden bzw. ernst genommen zu werden. Kassandra Steiner, Leiterin der Selbsthilfeorganisation Kopfweh, und Dr.in Sonja-Maria Tesar, Präsidentin der Österreichischen Kopfschmerzgesellschaft, nehmen den Welt-Kopfschmerztag am 5. September zum Anlass, um auf die Situation von Menschen mit der Erkrankung Migräne aufmerksam zu machen. Und sie weisen darauf hin, dass Migräne immer ernst genommen werden sollte: sowohl von den Betroffenen als auch von ihrem Umfeld.
Wenig Verständnis
“Der Wecker läutet viel zu früh! Ich bin abgeschlagen und die Nachwirkungen meiner gestrigen Migräne sind deutlich zu spüren. Meine Augen möchte ich schließen, im Bett bleiben und mich erholen …, aber ich muss zur Arbeit; es waren schon zu viele Krankenstandstage in diesem Jahr und ich kann es mir nicht leisten, wieder zu Hause zu bleiben. Was denken meine Kolleg:innen, meine Vorgesetzten – nein, es muss gehen … Ich muss funktionieren!” Kassandra Steiner gibt Einblick in die Lebensrealität von Menschen mit Migräne. Sie weiß, wovon sie spricht. “Meine migränebedingten Ausfälle versuche ich zu kompensieren, indem ich sonst bei der Arbeit enorm perfektionistisch bin. Jahrzehntelang habe ich meine Krankheit sogar verschwiegen, fand Ausreden, wenn es mir nicht gut ging. Ich konnte und wollte nicht darüber reden, denn mir schien, ich wurde von niemandem verstanden”, so die Leiterin der Selbsthilfeorganisation Kopfweh.
Zum Thema machen
“Das ist ganz typisch: Da die Erkrankung von Außenstehenden oft nicht ernst genommen wird, thematisieren viele Betroffene ihre Migräne nicht. Gehen sie doch davon aus, dass weder Arbeitgeber noch Familienangehörige ihre Erkrankung verstehen oder nachvollziehen können, worunter sie leiden”, so Dr.in Sonja-Maria Tesar, die als medizinische Direktorin des LKH Wolfsberg und Leiterin der Kopfschmerzambulanz am Klinikum Klagenfurt die Situation vieler Betroffener kennt.
Nicht verstecken, sondern ernst nehmen
“Wer seine Migräne versteckt, nimmt sie nicht ernst. Man begibt sich dann auch nicht in fachärztliche Behandlung. Man versucht, die Schmerzattacken mit einer Eigenmedikation in den Griff zu bekommen”, berichtet Steiner.
Ein Umstand, der sich als ungünstig erweist, denn: Migräne gehört diagnostiziert und behandelt. Bleibt sie unbehandelt, fördert dies ein Fortschreiten der Erkrankung und aus einer episodischen kann sich eine chronische Migräne entwickeln. “Auch die Gefahr des sogenannten Medikamentenübergebrauch-Kopfschmerzes steigt. Dazu kommt, dass mit steigender Häufigkeit der Attacken auch Angst und Depression zunehmend als Begleitsymptom[ii] auftreten”, bekräftigt Dr.in Tesar und fasst zusammen: “Aus all diesen Gründen ist es wichtig, dass Migräne-Patient:innen möglichst frühzeitig diagnostiziert und ausreichend, also wirksam, behandelt werden.”
1. Schritt: Diagnose
Mit der Diagnose ist der erste Schritt getan. Eine effektive Therapie basiert dann auf mehreren Säulen, erläutert Dr.in Tesar: “An erster Stelle steht eine wirksame medikamentöse Akuttherapie. Unterstützend dazu ist es sinnvoll, diverse nicht-medikamentöse Maßnahmen zu kombinieren, wie beispielsweise eine Verhaltenstherapie, Entspannungsübungen, Biofeedback, ausreichende Bewegung und das Vermeiden von Auslösern wie Stress und bestimmte Substanzen in der Ernährung. Und bei höherer Attackenfrequenz, also wenn die Migräne an mehreren Tagen pro Monat auftritt, ist auch eine medikamentöse Prophylaxe angeraten.”
Angst vor der Attacke
“Für uns Betroffene sind nicht nur die Migräneanfälle selbst qualvoll. Auch die Angst vor der nächsten Attacke beeinträchtigt unser Leben – beruflich wie privat – mitunter massiv. Eine wirkungsvolle prophylaktische Therapie, auf die wir vertrauen können, ist daher von großer Wichtigkeit”, erklärt Steiner.
Heute kommen hier moderne Antikörpertherapien zum Einsatz, die gezielt in das Krankheitsgeschehen eingreifen und höchst wirksam sowie gut verträglich sind.
Tesar: “Für die gesamte Klasse der CGRP-Antikörper konnte eine ausgezeichnete Wirksamkeit bei sehr guter Verträglichkeit gezeigt werden. Frequenz und Intensität der Attacken nehmen ab, die Lebensqualität nimmt zu, der Bedarf an Akutmedikation sinkt.” Daher die Empfehlung, bei diagnostizierter Migräne mit zumindest vier Migränetagen pro Monat beim Facharzt oder der Fachärztin für Neurologie nachzufragen, ob man für eine Antikörper-Migräneprophylaxe in Frage käme.
Migräne-Spritze unter bestimmten Voraussetzungen
Die Verabreichung dieser Prophylaxe erfolgt mittels Fertigpen zumeist einmal monatlich oder als Infusion, die nur vier Mal pro Jahr verabreicht wird. Somit gibt es für Betroffene unterschiedliche Möglichkeiten der Behandlung, die auch gut in den Alltag passen.
“Man muss gewisse Parameter erfüllen, wie eine bestimmte Anzahl an Migräne-Tagen pro Monat, und braucht die Verschreibung einer Neurologin bzw. eines Neurologen, um diese Medikamente von der Krankenkassa bezahlt zu bekommen. Nach der Erstverschreibung können sie dann auch von der Hausärztin bzw. vom Hausarzt weiterverschrieben und verabreicht werden”, weiß Steiner.
APAMED