Die Grünen betrachten Apotheker:innen nicht lediglich als „Logistiker für von Ärzt:innen” verordnete Medikamente, sondern als wichtige Akteure im Gesundheitswesen, die einen niedrigschwelligen Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen bieten, betont Gesundheitssprecher Ralph Schallmeiner im Interview mit TARA24. Man werde sich weiterhin entschieden dafür einsetzen, das Impfen in Apotheken zu ermöglichen. Um Lieferengpässe zu bewältigen, sei eine europaweite Strategie erforderlich, die auf eine gerechtere Verteilung von Medikamenten abzielt. Die Arzneimittelproduktion müsse zurück nach Europa verlagert und der Vertrieb auf gesamteuropäischer Ebene organisiert werden. Im Gegenzug müsse sich die Pharmaindustrie klar zu einer Absicherung des Forschungs- und Produktionsstandorts sowie zur Liefertreue verpflichten.
Welche gesundheitspolitischen Schwerpunkte werden Die Grünen in der kommenden Legislaturperiode setzen?
Ralph Schallmeiner: Wir Grüne haben die größte, strukturelle Gesundheitsreform seit Jahrzehnten auf den Weg gebracht. In den kommenden Jahren geht es darum, diese Reform konsequent umzusetzen und weiter auszubauen. Wir stehen für ein solidarisch finanziertes Gesundheitssystem, das die Patient:innen in den Mittelpunkt stellt. Ein Gesundheitssystem, das für alle Menschen zugänglich ist – und zwar mit der e-Card statt mit der Kreditkarte. Niemand soll für einen Termin auf Wahlärzt:innen angewiesen sein. Darüber hinaus wollen wir auch bei weiteren zentralen Fragen im europäischen Standard ankommen, zum Beispiel bei der Wirkstoffverschreibung oder beim Impfen in Apotheken. Zudem braucht es eine Verlagerung von Kompetenzen: In Zukunft sollen allein Kompetenz und Ausbildung ausschlaggebend sein, wie Gesundheitspersonal eingesetzt wird – und nicht mehr die berufsständischen Interessen einzelner Gruppen im System. Denn davon profitieren die Patient:innen und alle Seiten am stärksten.
Werden Sie die Ziele der beschlossenen Gesundheitsreform unterstützen? Welche Punkte priorisieren sie?
Schallmeiner: Ja, schließlich handelt es sich bei unserer Gesundheitsreform um das größte Reformpaket seit Jahrzehnten. Mit ihr packen wir die dringlichsten Probleme des Gesundheitssystems an. Einige Beispiele: Wir schaffen Abhilfe für die Unterversorgung mit Kassenärzt:innen insbesondere im ländlichen Raum. Mehr Angebot im niedergelassenen Bereich führt zu kürzeren Wartezeiten in den Spitälern. Und völlig neue Angebote in der Telemedizin erleichtern die Erstabklärung von Symptomen und können z.B. chronisch erkrankte Menschen in ihrem Alltag begleiten und unterstützen.
Apotheken spielen eine zentrale Rolle in der Gesundheitsversorgung vor Ort. Wie planen Die Grünen die Position und Aufgaben der Apotheken zu stärken? Wie stehen Sie zu Einführung von Impfen in der Apotheke?
Schallmeiner: Als Grüne freuen wir uns über die gemeinschaftlich mit der Apotheker:innenkammer erarbeitete und im Frühjahr beschlossene Apothekengesetz-Novelle. Wichtig war dabei auch die Erweiterung des Kompetenzbereichs von Apotheken. Dieser wurde deutlich ausgebaut. So können fortan beispielsweise Medikationsanalysen und einfache Gesundheitstests wie Blutdruckmessungen an Apotheken angeboten werden. Das größte und dringlichste Einbindungspotential von Apotheken für die Gesundheitsversorgung sehen wir im „Impfen in Apotheken“. Eine Maßnahme, für die wir Grüne uns sehr eingesetzt haben und weiter einsetzen werden.
Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig die Apotheken für die öffentliche Gesundheit sind. Wie werden Die Grünen diese Erfahrungen nutzen, um Apotheken in Zukunft noch stärker in Präventionsmaßnahmen einzubeziehen?
Schallmeiner: Ein wichtiger nächster Schritt ist aus unserer Sicht das Impfen in den Apotheken. Eine weitere Aufwertung wäre eine Wirkstoffverschreibung, wie das international üblich und bestens bewährt ist. Unser Ziel ist es, dass Apotheken echte Gesundheitsdrehscheiben werden, die niederschwellig und auf Augenhöhe beraten und analysieren.
Wie stehen Sie zur Digitalisierung im Gesundheitswesen, insbesondere in Bezug auf die elektronische Verschreibung und die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern?
Schallmeiner: Wir Grüne sehen große Chancen in der Digitalisierung und den neuen Möglichkeiten der Telemedizin. Als zusätzliche Angebote können wir mit ihnen bestehende Gesundheitsleistungen ergänzen und optimieren. Auch bei der Gesundheitsreform war daher das Motto „digital vor ambulant vor stationär“ ein zentraler Ansatzpunkt. Im Bereich der Digitalisierung haben wir im Rahmen der Gesundheitsreform bereits wichtige Schritte gesetzt, die es nun weiter auszubauen und umzusetzen gilt. Wir haben den elektronischen Impfpass auf den Weg gebracht, der mehr Service für Patient:innen bietet, zum Beispiel durch einen besseren Überblick und eine Erinnerungsfunktion für Auffrischungen. Auch die Gesundheitshotline 1450 soll weiter ausgebaut werden, u.a. damit Patient:innen rasch an die Anlaufstelle kommen, die für ihr Anliegen am besten geeignet ist. Auch Digitale Gesundheitsanwendungen, die z.B. Menschen mit chronischen Erkrankungen im Alltag unterstützen, sind ein zentraler Bestandteil einer erfolgreichen Zukunftsstrategie. Und in dieser spielen aus unserer Sicht auch Apotheken eine wichtige aktive Rolle.
Welche Rolle sehen Sie für Apotheken in der Zukunft im Hinblick auf die Telemedizin und digitale Gesundheitsberatung?
Schallmeiner: Die Digitalisierung voran zu treiben, ist ein zentraler Bestandteil der Gesundheitsreform. Der 1450-Gesundheitshotline soll dabei eine zentrale Rolle zukommen, die es noch weiter auszubauen und zu entwickeln gilt. Die Einbindung von Apotheken sehen wir in diesem Bereich der Digitalisierung nicht als vorranging an, Doppelgleisigkeiten gilt es jedenfalls zu vermeiden.
Der wichtigste Ausbau der Rolle von Apotheken im Gesundheitssystem ist für uns die Möglichkeit, Impfungen in Apotheken durchführen zu können.
Welche Maßnahmen sind notwendig, um die pharmazeutische Industrie in Österreich zu unterstützen, insbesondere im Hinblick auf Forschung und Entwicklung?
Schallmeiner: Europa ist mehr als nur ein gemeinsamer Wirtschaftsraum. Die EU sollte aus unserer Sicht auch eine Sozialunion sein – und damit in weiterer Folge auch eine Gesundheitsunion. Wir Grüne sind daher der Meinung, dass es jedenfalls eine gesamteuropäische Sicht und eine europaweite Strategie braucht, um Lieferengpässen bei Arzneimitteln entgegenzuwirken und gleichzeitig für eine bessere und faire Verteilung von Pharmazeutika zu sorgen. Folgende Maßnahmen wären aus unserer Sicht wichtig:
- Eine stärkere Koordinierungsrolle für die Europäische Arzneimittelagentur (EMA), nicht nur bei der Zulassung von neuen Produkten, sondern auch bei der Überwachung von Arzneimittelengpässen durch die nationalen Behörden.
- Eine frühzeitige Meldung von Engpässen und Arzneimittelrücknahmen sowie die Entwicklung von Präventionsplänen, damit Engpässe gar nicht erst entstehen.
- Eine EU-weite Liste kritischer Arzneimittel inklusive der Identifikation von Schwachstellen in der Lieferkette sowie von konkreten Empfehlungen zu Maßnahmen für Unternehmen.
- Wir müssen die Arzneimittelproduktionen wieder zurück nach Europa bringen und darauf achten, dass die Verteilung der Produkte gesamteuropäisch stattfindet.
- Im Gegenzug hat sich die Pharmaindustrie klar und eindeutig zu verpflichten zur Absicherung des Forschungs- und Produktstandorts sowie zu Liefertreue. Freiwillige Zusagen sind nicht ausreichend. Nach dem Motto: Strenge Rechnung, gute Freunde.
Österreich ist ein Pharmastandort, und die Pharmaindustrie einer der wichtigsten Wachstumsmärkte. Die Tendenzen gehen jedoch immer mehr Richtung Zentralisierung und damit weg aus Österreich. Wie bleibt Österreich als Industrie- und Wirtschaftsstandort attraktiv?
Schallmeiner: Um Österreich als attraktiven Standort zu stärken, müssen wir Forschung und Innovation konsequent fördern. Dazu braucht es ausfinanzierte Universitäten und gute Möglichkeiten für die Kooperation von Industrie und Forschung. Wir Grüne setzen uns daher für eine Erhöhung der Forschungsförderung gerade im Bereich von Biotechnologie und Biomedizin ein. Österreich kann zudem nur als Standort attraktiv bleiben, wenn die grüne Wende vornagetrieben wird. Dieses Einstehen für Klimaschutz und eine klimaneutrale Produktion gibt es nur mit uns Grünen.
Der Zugang zu leistbaren Medikamenten ist ein zentrales Thema in der Versorgung. Welche Strategien verfolgen Sie, um Preisanstiege bei Medikamenten zu kontrollieren und gleichzeitig die Verfügbarkeit sicherzustellen?
Schallmeiner: Wir Grüne sind der Meinung, dass es eine gesamteuropäische Sicht und eine europaweite Strategie braucht, um Lieferengpässen bei Arzneimitteln entgegenzuwirken und gleichzeitig für eine bessere und faire Verteilung von Pharmazeutika zu sorgen. Auch hier steht fest: Es braucht dafür nicht nur das Bekenntnis und die entsprechenden Maßnahmen Österreichs, sondern umgekehrt klare Verinbarungen ohne Wenn und Aber seitens der Industrie.
Stichwort Lieferengpässe: Wie kann man sicherstellen, dass der Zugang zu innovativen Medikamenten für die Bevölkerung gewährleistet bleibt. Was braucht es auf globaler Ebene, um die Versorgung in Europa und in Österreich zu stärken.
Schallmeiner: Um die bestmögliche Versorgung mit Medikamenten für alle Menschen in Österreich sicherzustellen, müssen wir aus unserer Sicht an mehreren Punkten Ansetzen.
- Wir müssen einen Binnenmarkt für Arzneimittel und ein attraktives Umfeld für Forschung, Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln in Europa schaffen. Dafür braucht es klare und transparente Vereinbarungen
- Wir müssen kürzere Zulassungszeiten für Arzneimittel sicherstellen.
- Für eine bessere Verfügbarkeit von Arzneimitteln – und dadurch eine gestärkte Versorgungssicherheit – brauchen wir Solidaritätsregelungen innerhalb Europas ebenso wie Verpflichtungen für Pharmaunternehmen.
- Bei nicht erfüllten Lieferverpflichtungen müssen entsprechende Pönalen greifen: Es darf nicht sein, dass für den europäischen Markt produzierte Produkte in den arabischen Raum oder in die USA geliefert werden, weil dort die Gewinnspannen kurzfristig höher sind, so wie das aktuell immer wieder dem Vernehmen nach passiert.
Warum sollten Apotheker und pharmazeutisches Fachpersonal Die Grünen wählen? Welche Vorteile versprechen Sie speziell dieser Berufsgruppe?
Schallmeiner: Die Grünen sind die richtige Wahl für Apotheker:innen, da wir die Herausforderungen des Gesundheitssystems gesamtheitlich betrachten und uns als einzige Partei überlegen, wohin die Reise in Zukunft gehen soll. Wir sehen Apotheker:innen nicht als „Logistiker:innen“ für von Mediziner:innen verschriebene Präparate, sondern als echte Gesundheitsdienstleister, die niederschwellig agieren. Und: uns ist klar, dass Österreich als kleines Land künftige Gesundheitskrisen nicht alleine bewältigen können wird. Aus diesem Grund braucht es neben den weiter oben bereits primär auf Österreich fokussierten Maßnahmen auch eine europäische Pharmastrategie samt Fokus auf Forschung aber ebenso auf faire Marktbedingungen. Nur so kann eine durchgängige und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung für alle Menschen in Europa – und damit auch in Österreich – gewährleistet werden. Für uns steht fest, dass auch Kompetenzen der Apotheker:innen ausgeweitet werden müssen. Denn sie sind eine wesentliche Stütze unseres Gesundheitssystems.
Zum Schwerpunkt NR-Wahlen:
Interviews mit den Standesvertretern und Gesundheitssprechern