Wenn auch in den vergangen Jahren bereits Reformen zur Verbesserung der psychischen Gesundheit umgesetzt wurden, besteht in Österreich nach wie vor großer Aufholbedarf in der psychosozialen Versorgung. Dies räumte Gesundheitsminister Johannes Rauch heute im Rahmen einer Pressekonferenz ein. Notwendig sei unter anderem eine Verdoppelung der kassenfinanzierten Psychotherapieplätze sowie die Aufnahme psychologischer Behandlung auf Krankenschein.
„Mentale Gesundheit darf keine soziale Frage sein“, betont Mag.a Barbara Haid, MSc, Präsidentin Österreichischer Bundesverband für Psychotherapie (ÖBVP) und bestätigt damit Rauchs Forderung nach mehr kassenfinanzierten Therapieplätzen a la “e-card vor Kreditkarte”. Seit 1. Jänner 2024 ist zwar erstmals ein Kostenzuschuss für klinisch-psychologische Behandlung möglich, ein wichtiges Ziel sei jedoch, eine Sachleistungvereinbarung um klinisch-psychologische Behandlung auch gänzlich kostenfrei möglich zu machen.
Den hohen Bedarf an psychosozialer Versorgung verdeutlichen die jüngst veröffentlichten Zahlen aus dem Projekt „Gesund aus der Krise“. Seit dem Projektstart im April 2022 wurden österreichweit über 22.000 Klient
versorgt. Allein im ersten Jahr bis Juni 2023 konnten 8.000 Behandlungen dokumentiert werden. Für den aktuellen Projektzyklus stehen 10.000 Behandlungsplätze zur Verfügung. Das Behandlerteam besteht aus insgesamt 1.400 Klinischen Psycholog:innen, Gesundheitspsycholog:innen und Psychotherapeut:innen, die zusammen Behandlungen in 25 Sprachen anbieten.
Das Geheimnis des Erfolges
„Gesund aus der Krise“ ist mittlerweile ein internationales Vorzeigeprojekt, das sich durch den niederschwelligen Zugang für Klient:innen besonders auszeichnet. „Kinder und Jugendliche brauchen die Sicherheit, dass sie Hilfe in Anspruch nehmen können. Der große Erfolg liegt in die Struktur die wir aufgebaut haben“, sagt A.o. Univ.-Prof.in Dr.in Beate Wimmer-Puchinger, Gesamtleitung „Gesund aus der Krise“ und Präsidentin des Berufsverbands Österreichischer PsychologInnen (BÖP).
Fünf Faktoren bestimmen den hohen Zuspruch:
- Einfacher und unkomplizierter Zugang: Über 14-Jährige können sich selbst anmelden.
- Matching: Passgenaue Zuweisung von Klient:innen und Behandler:innen
- Kurze Wartezeit: Die Zeit zwischen Anmeldung und Behandlungsbeginn beträgt 10 bis 20 Tage
- Qualität der Behandlung: Überprüfung der Arbeitserfahrung der Behandler:innn
- Kostenfreie Behandlung: 15 Stunden + 5 weitere für Verlängerung
Die hohe Qualität und Effizienz des Programms wurde im aktuellen Evaluierungsbericht bestätigt: 95 Prozent der Klient:innen erreichten eine Besserung, 55 Prozent ein sehr gute bis gute.
Mehr mental Health auch für Erwachsene
In Bezug auf das Projekt “Gesund aus der Krise” wird gefordert, dieses in den Regelbetrieb zu überführen und auch für Erwachsene zugänglich zu machen, insbesondere für Menschen mit lebensbedrohlichen und chronischen Erkrankungen wie in der Psychoonkologie. Der Bedarf an psychischer Unterstützung für Menschen, die mit einer Krebsdiagnose leben müssen, ist erheblich und wird angesichts steigender Diagnoseraten weiter zunehmen. Die Österreichische Krebshilfe hebt den dringenden Bedarf an psychoonkologischer Versorgung hervor, der durch eine Regelfinanzierung gedeckt werden muss. „Gesund aus der Krise“ bietet mit seinen niederschwelligen Angeboten die ideale Struktur, um diese Versorgungslücke zu schließen“, betont Wimmer-Puchinger.
Smartphone & Schule: Mehr klare Regeln gefordert
Smartphones und soziale Medien können gesundheitsschädlich sein, besonders für Kinder und Jugendliche, betonen die Expert:innen. Laut der Mental Health Day Studie (Januar 2024) nutzen zehn Prozent der Mädchen und sieben Prozent der Burschen soziale Medien problematisch. Die WHO hat in ihrem „Leitfaden zur primären Gesundheitsvorsorge bei Kindern und Jugendlichen“ (2022) die Gefahren aufgelistet. Auch wenn Wimmer-Puchinger und Haid die Fortschritte, die digitale Medien bringen, anerkennen, sind neue, klare Regeln im Umgang mit diesen Technologien notwendig.
Ausweitung der Schulpsychologie und Schul-Support-Personals
Da der Schulalltag für viele Kinder und Jugendliche prägend ist, ist wird eine verstärkte psychische Unterstützung gefordert. Aktuell gibt es 1,16 Millionen Schüler:innen und nur 252 Schulpsycholog:innen was den Bedarf nicht decken könne. Notwendig sei ein Ausbau des Schul-Support-Personals, bestehend aus Schulsozialarbeiter:innen, Schulärzt:innen, School-Nurses sowie Psychotherapeut:innen und Psycholog:innen, gefordert.
Aufhebung der Psychotherapie-Kontingente und kostendeckender Tarif für Psychotherapeut:innen
Psychotherapeut:innen fordern bessere Arbeitsbedingungen und ein gerechteres Zugangssystem zur psychotherapeutischen Behandlung. Kassenfinanzierte Psychotherapie ist derzeit kontingentiert und oft selbstfinanziert. Ein kostendeckender Tarif für kassenfinanzierte Psychotherapie ist notwendig, um eine gerechte Entlohnung sicherzustellen.
Mental-Health-Check als Teil der Vorsorgeuntersuchung
Ein “Mental-Health-Check” im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung soll eingeführt werden, um psychologische Hilfe niederschwellig zugänglich zu machen. Psycholog:innen sollen stärker in die Gesundenuntersuchung integriert werden, um Bedürfnisse und Sorgen frühzeitig zu erkennen und interdisziplinär Hilfe zu leisten.