Folge 3: Lieferengpässe und die Rolle des pharmazeutischen Großhandels


In tara&talk erklärt die Juristin unter anderem den Unterschied zwischen Großhändler und Vollgroßhändler.

„Das Medikament ist leider gerade nicht lieferbar.“ Es gibt wohl keinen Satz, der aktuell öfter in der österreichischen Offizin zu hören ist. Immer noch. Denn das Problem der Arzneimittelengpässe besteht nun schon seit 2022.
Im Podcast „Tara&Talk“ spricht unsere Host Mag.a Astrid Janovsky zu diesem Thema mit Dr.in Monika Vögele, Generalsekretärin vom Verband der österreichischen Arzneimittelvollgroßhändler PHAGO.

Twitter

Mit dem Laden des Tweets akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Twitter.
Mehr erfahren

Inhalt laden

Zusammenfassung

Not macht erfinderisch. Dieser Spruch wurde bestimmt erstmals in einer Apotheke getätigt. Wie erfinderisch Österreichs Apotheken tatsächlich sind, habe sie nicht zuletzt im Zuge der Arzneimittelengpässe unter Beweis gestellt und fleißig Antibiotikasäfte in der Rezeptur angefertigt. Trotzdem kann das nur die Ausnahme und nicht die Regel der Arzneimittelabgabe sein.
Die erfolgt nach wie vor hauptsächlich in Form von Fertigarzneimitteln, die wiederum ihrerseits zum größten Teil über den pharmazeutischen Vollgroßhandel bezogen werden.

Dr.in Monika Vögele ist Generalsekretärin von PHAGO, dem Verband der österreichischen Vollgroßhändler. Dessen Mitglieder sind die bekannten Pharmalogistiker Herba Chemosan Apotheker AG, Jacoby GM Pharma, Kwizda Pharmahandel, Phoenix Arzneimittelgroßhandel und Richter Pharma.

Warum „Voll“Großhandel

Gleich zu Beginn erklärt die Juristin, was der Unterschied zwischen „Großhändler“ und „Vollgroßhändler“ ist. Es gibt nämlich in Österreich mehrere hundert Arzneimittelgroßhändler. Aber nur der VOLLgroßhandel kann durch sein Sortiment und seine Logistik die Arzneimittelversorgung in einem bestimmten Gebiet sicherstellen. Die Mitgliedsbetriebe von PHAGO beschäftigen über 2000 Mitarbeiter:innen an 23 Standorten in ganz Österreich und liefern jährlich mehr als 220 Mio. Packungen aus.
Die Logistik, die das möglich macht, ist kompliziert und für Apothekenmitarbeitende meist nicht sichtbar. Der eine oder die andere hat bei einer Betriebsführung schon einmal die automatisierte Befüllung der Lieferwannen im Lager beobachten können. Wie aber die zig-tausenden Packungen überhaupt zur Großhandelsniederlassung kommen und welche Bestellprozesse dahinterstecken, bleibt meist im Verborgenen.

Drei Wochen Vorrat

Deshalb klärt Vögele auf: beim Großhandel lagern 40.000 verschiedene Artikel von rund 1.000 unterschiedlichen Lieferanten. Aufgrund der Fülle gibt es keinen einheitlichen Bestellprozess. Grundsätzlich richtet auch der Großhandel (wie die Apotheke) seine Strategie nach dem Bedarf in der Vergangenheit mit dem Ziel der durchgängigen Lieferfähigkeit. Es wird aber stets darauf geachtet, dass die an Lager befindliche Menge für einen Versorgungszeitraum von drei Wochen ausreichen würde. Dadurch ist auch im Falle des Lieferausfalles eine entsprechende Reserve vorhanden. So kommt es zur unglaublichen Zahl von 13 Mio. Arzneimittelpackungen, die täglich in den 23 Niederlassungen vorrätig gehalten werden.

Eigene Bedarfs-Prognosemodelle

Der Bedarf an Arzneimitteln wird aber nicht nur anhand der Daten der Vergangenheit berechnet. Jeder Vollgroßhandel verfügt über ein eigenes Prognosemodell, in das verschiedene Daten einfließen. So findet zum Beispiel auch der Blick über die Grenze in andere Länder statt. Aber auch die eigene Nachfrage wird zu jener in der Vergangenheit in Relation gesetzt, um möglicherweise einen früheren saisonalen Bedarf zu erkennen. Darüber hinaus berücksichtigen die Modelle auch Alternativprodukte und Marktbereinigungen.

Dauereinsatz gegen Massenpanik

Eine besondere Herausforderung an die Lieferfähigkeiten stellte Corona. Jener Freitag, an dem der Lockdown ausgerufen wurde, wird Vögele vermutlich ewig in Erinnerung bleiben. Patient:innen hatten die Apotheken gestürmt und bei den Großhandelsniederlassungen wurde die Nacht durchgearbeitet, um die Lager wieder zu füllen und die Apotheken weiterhin versorgen zu können. Denn es war allen Beteiligten bewusst: würde die Bevölkerung nach der Verkündigung des Lockdowns ihre Medikamente nicht bekommen, könnte das in einer Massenpanik enden.
Auch die Vorbereitung auf die Impfstoffe und die damit verbundene Ultra-Tiefkühllogistik brachte neue, bisher unbekannte Herausforderungen.
Doch all das konnte der Großhandel durch persönlichen Einsatz gut abfangen.

Explodierende Nachfrage

Das war nicht mehr möglich, als 2022 plötzlich der Bedarf an Fiebersäften für Kinder explodierte. Die Hersteller konnten nicht mehr liefern und der Großhandel mussten abermals kreativ werden. Warum Österreich länger und besser versorgt war als zum Beispiel Deutschland, hing laut Vögele von zwei Faktoren ab, die beide der Kleinheit des Landes geschuldet waren: man konnte praktisch über Nacht ungleiche Versorgungen in den Bundesländern ausgleichen, also ein benötigtes Medikament von einem Ende Österreichs ans andere liefern. Außerdem wurde damals sehr schnell Ersatzware aus dem europäischen Ausland beschafft. Und 10.000 zusätzliche Packungen haben in Österreich eine ganz andere Relevanz als in großen Ländern.

Kein Ende in Sicht

Aktuelle Lieferengpässe versuchen die Vollgroßhändler frühestmöglich zu erkennen und Alternativen ausfindig zu machen. Sobald die beim Hersteller getätigte Bestellung nicht vollumfänglich geliefert wird, beginnt die Suche nach Alternativen.
Die Vor-Ort-Apotheke darf sich also darauf verlassen, dass in dem Moment, wo Lieferengpässe in der Offizin bemerkt werden, bereits mit Hochdruck an einer alternativen Lösung gearbeitet wird. Um dies noch besser und schneller gewährleisten zu können, würde sich Vögele mehr Transparenz von Seiten der Industrie wünschen.

Und wie es aussieht, werden Apotheken und Vollgroßhandel auch weiterhin gefordert sein. Denn, so die Prognose von Vögele: ein Ende der Lieferschwierigkeiten ist noch nicht absehbar.



Newsletter

Bleiben Sie stets informiert!