Eine englische Studie zum positiven Effekt von Milchkonsum erregt gerade großes mediales Interesse. Und man muss sich fragen: Warum? Sie ist weder gut, noch das Ergebnis neu.
Ein Kommentar von TARA24-Redakteurin Astrid Janovsky
Entweder ist die Milchlobby besonders gut organisiert oder positive Milchnachrichten sind gerade im “Veganuary” besonders beliebt. Aus wissenschaftlicher Sicht ist der Hype um eine eben erschienene Publikation zum Thema “Täglich ein Glas Milch schützt vor Darmkrebs” nicht zu erklären.
Daten aus sieben Tagen Ernährungsprotokoll
Es handelt sich hierbei weder um eine Studie, noch eine Metaanalyse. Die Daten zeigen einen statistisch herausgearbeiteten, keinen kausal nachgewiesenen Zusammenhang. Von 1996 bis 2001 hatten sich etwa 1,3 Millionen Frauen in England und Schottland an der “Million Women Study” beteiligt, nachdem sie an einem Screening zur Vorbeugung von Brustkrebs teilgenommen hatten. Sie füllten einen detaillierten Fragebogen aus und schilderten ihre Nahrungsaufnahme über einen Zeitraum von sieben Tagen. Wegen unvollständiger Daten und aus anderen Gründen wurden zahlreiche Teilnehmerinnen von der Datenauswertung ausgeschlossen. Es blieben Daten von 542.778 Frauen übrig, die nach jeweils drei bis fünf Jahren erneut befragt wurden. In einem Zeitraum von durchschnittlich knapp 17 Jahren erkrankten 12.251 (2,26 Prozent) der Teilnehmerinnen an Darmkrebs.
Kalzium ist der Gewinner
Die Forschenden schauten sich nun mögliche Zusammenhänge zu 97 Ernährungsfaktoren an. Sie ermittelten 17 Faktoren, die den Daten zufolge eine statistisch signifikante Wirkung auf das Darmkrebsrisiko haben. Den größten positiven Effekt erzielte Kalzium mit einer Verringerung des Risikos um im Mittel etwa 17 Prozent je 300 Milligramm am Tag. Kalzium scheint in hohem Maße an der schützenden Wirkung von Milch und Milchprodukten beteiligt zu sein: Wurde der Effekt von Kalzium statistisch herausgerechnet, war die positive Wirkung von Milch und Milchprodukten deutlich geringer. Dies galt auch für in Milch enthaltene Nährstoffe wie Vitamin B2, Magnesium, Kalium und Phosphor.
Überraschung: Alkohol ist schlecht
Ansonsten liefert die Auswertung wenig Neues: Weitere Lebensmittel und Nährstoffe, die das Darmkrebsrisiko reduzieren – wenn auch in geringerem Maße – sind den Autor:innen zufolge Frühstücksflocken, Obst, Vollkornprodukte, Ballaststoffe, Folsäure und Vitamin C. Ballaststoffe! Wer hätte es gedacht. Und auch bei den negativen Einflussfaktoren finden sich die üblichen Verdächtigen. Bereits 20 Gramm Alkohol pro Tag erhöhen das Darmkrebsrisiko demnach im Mittel um etwa 15 Prozent. Bei rotem sowie bei verarbeitetem Fleisch – etwa Wurst – können es bei 30 Gramm pro Tag etwa acht Prozent mehr sein.
Keine neuen Erkenntnisse
Sogar die Erkenntnis des schützenden Effektes bei Darmkrebs ist ein vergleichsweise alter Hut. Genauso tauchten aber auch immer wieder Studien auf, die (übermäßigem) Milchkonsum negative Effekte zusprachen. Eine schwedische Studie meinte sogar, dass Milchtrinker:innen früher sterben. Die Autor:innen räumten aber selbst ein, dass das Ergebnis vage sei. Eine andere Studie fand heraus, dass Milchtrinker generell ungesünder lebten: Sie würden weniger Sport betreiben und mehr rauchen – und deshalb auch früher sterben.
3/4 der Weltbevölkerung laktoseintolerant
Fakt ist, dass der Mensch das einzige Lebewesen ist, das Muttermilch (einer anderen Spezies) noch im Erwachsenenalter konsumiert. Das tut er auch erst seit rund 7.500 Jahren. Es gibt sogar Hinweise, dass es mehrere tausend Jahre dauerte, bis die Bevölkerung in Mitteleuropa Kuhmilch gut vertragen konnte. 30 Prozent der Europäer:innen und etwa drei Viertel aller Menschen weltweit sind heute noch immer laktoseintolerant.
Fazit zum Hype um das protektive Glas Milch: Die Flüssigkeit wird von den Ernährungsgesellschaften als gesundes Lebensmittel eingestuft – aber nicht als Getränk. Der Einsatz sollte daher in maßvollen Mengen erfolgen. Wer es verträgt, darf also gerne Milch und Milchprodukte konsumieren. Das tägliche Glas Milch alleine macht aber keine gesunde Ernährung.
APAMED