Eine aktuelle Studie unter Leitung der Medizinischen Universität Wien zeigt, dass der Hämatokrit-Wert, also der Anteil der roten Blutkörperchen am Blutvolumen, direkten Einfluss auf den Blutzuckerspiegel hat. Die Forschenden konnten nachweisen, dass eine Erhöhung der Anzahl roter Blutkörperchen direkt eine Senkung des Blutzuckers bewirkt. Die aktuell im Fachjournal „Science Advances“ publizierten Ergebnisse könnten dazu beitragen, neue Wege zur Behandlung von Diabetes mellitus zu finden.
„Obwohl der Hämatokrit- und Blutzucker-Wert zu den am meisten gemessenen Laborparametern zählen, ist der direkte Zusammenhang bisher übersehen worden“, betont Studienleiter Clemens Fürnsinn (Universitätsklinik für Innere Medizin III der MedUni Wien) die Tragweite der Studienergebnisse. Die neuen Erkenntnisse des internationalen Forschungsteams können nicht nur die blutzuckersenkende Wirkung von Höhenaufenthalten erklären, sondern auch zur Entwicklung neuer, personalisierter Diagnose- und Therapieansätze bei Diabetes mellitus führen.
Höhenlage vermindert Diabetesneigung
Dass Bergbewohner:innen seltener an Diabetes erkranken, wurde bisher vor allem dem in Höhenlagen verminderten Sauerstoffgehalt der Luft zugeschrieben, der unter anderem eine Erhöhung der Zahl roter Blutkörperchen bewirkt. Man hat allerdings bisher nicht vermutet, dass die Menge an roten Blutkörperchen Ursache der veränderten Blutzuckerregulation in Höhenlagen sein könnte. Um diesen Mechanismus besser zu verstehen, wurden im Rahmen der Forschungsarbeit Mäuse unter Hypoxie, also unter vermindertem Sauerstoffgehalt in der Luft, gehalten. Es zeigte sich, dass der Blutzucker dieser Tiere allmählich absank, ohne dass eine Gewichtsabnahme als Ursache in Frage kam. Eine gezielte Erhöhung des Hämatokrits durch Infusion von Spenderblut oder durch die Gabe von Erythropoetin (EPO), einem körpereigenen Hormon zur Stimulation der Blutbildung, führte zu einer vergleichbaren Blutzuckersenkung. „Die Forschungsergebnisse legen nahe, dass rote Blutkörperchen nicht nur für den Sauerstofftransport zuständig sind, sondern auch Glukose transportieren können. Dies könnte erklären, warum ein Anstieg des Hämatokrits mit einer Reduktion des Blutzuckers einhergeht“, erläutert Clemens Fürnsinn.
EPO reguliert auch Energiestoffwechsel
Die Studie reiht sich in eine lange Tradition der Erforschung von Höhenphysiologie und Blutzuckerregulation ein. Bereits frühere Untersuchungen hatten gezeigt, dass Menschen in großen Höhen seltener an Diabetes mellitus erkranken. Gleichzeitig ist bekannt, dass Erythropoetin (EPO) nicht nur die Bildung roter Blutkörperchen reguliert, sondern auch Effekte auf den Energiestoffwechsel haben kann. „Unsere Erkenntnisse liefern eine Erklärung für diese Zusammenhänge und könnten zukünftig dazu beitragen, neue Möglichkeiten zur Regulierung des Blutzuckerspiegels und zur Behandlung von Diabetes mellitus zu finden“, sagt Clemens Fürnsinn im Vorfeld weiterer Studien, die die Ergebnisse vertiefen sollen.
MEDUNI WIEN