Colisitin ist ein Reserveantibiotikum, das nur im Notfall eingesetzt wird. Es verfügt nämlich über hohe Nierentoxizität. Diese konnte nun durch einen Trick ausgeschaltet werden.
„Aufgrund zunehmender Resistenzen kommt es immer häufiger vor, dass gängige und gut verträgliche Antibiotika gegen gefährliche bakterielle Erreger nicht mehr wirken“, sagt Prof. Mark Brönstrup, Leiter der Abteilung „Chemische Biologie“ am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) und Wissenschaftler im DZIF-Forschungsbereich „Neuartige Antibiotika“. „Das Reserve-Antibiotikum Colistin ist in dieser Notlage ein wichtiger Helfer. Seine Gabe birgt allerdings Risiken schwerer Nebenwirkungen: Es wirkt stark nephrotoxisch, Langzeitfolgen sind nicht auszuschließen.“ Colistin wurde in den 1950er Jahren entwickelt. Aufgrund seiner stark nephrotoxischen Wirkung wurde es nach seiner Entwicklung viele Jahrzehnte lang nicht mehr beim Menschen eingesetzt.
Getrennte Applikation von Wirkstoff und “Schalter”
Eine Lösung wäre, wenn man Colistin chemisch so verändern könnte, dass es bei gleichbleibend hoher antibiotischer Wirksamkeit die Nieren nicht mehr so stark schädigt. „Solche Forschungsansätze wurden in verschiedenen Studien verfolgt, mit unterschiedlichem Erfolg“, sagt Brönstrup. „In unserer aktuellen Studie haben wir deshalb einen anderen Ansatz gewählt: Wir wollten Colistin in einer maskierten, ungefährlichen Form über die Blutbahn durch den Körper schicken und es mit Hilfe eines an den Erregern angebrachten Schaltersystems gezielt aktiv werden lassen.“ Diese sogenannte Click-to-Release-Technik basiert auf einem chemischen Wirkprinzip, bei dem ein aus zwei Komponenten bestehender Wirkstoff unter dem Einfluss eines chemischen Schalters in diese beiden Komponenten zerfällt und so das gewünschte Medikament aktiviert. In der Krebsforschung wird diese Technik seit etwa zehn Jahren eingesetzt.
Anfänglicher Rückschlag
Um die Click-to-Release-Technik für ihren Forschungsansatz nutzen zu können, benötigten die Forscher zunächst eine zweite Komponente, die an Colistin bindet und es dadurch unschädlich macht, und die sich mithilfe eines Schalters wieder vom Wirkstoff trennen lässt. Dafür kamen mehrere chemische Varianten eines Stoffes namens Trans-Cycloocten (TCO) in Frage, die sich mithilfe des chemischen Schalters Tetrazin wieder von Colistin trennen ließen. Um die Toxizität des mit verschiedenen TCO-Varianten modifizierten Colistins zu testen, führten die Forscher Zellkulturexperimente mit Nierenzellen durch. „Leider war TCO-maskiertes Colistin deutlich toxischer als reines Colistin, was für uns zunächst eine herbe Enttäuschung war“, sagt Dr. Jiraborrirak Charoenpattarapreeda, Forscher in der Abteilung ‚Chemische Biologie‘ und Erstautor der Studie. „Dieses Problem konnten wir jedoch lösen, indem wir TCO zusätzlich mit Aspartat modifizierten.“ Dadurch wurde die Ladung des modifizierten Colistins in den negativen Bereich verschoben und seine Bindung an Nierenzellen und die damit einhergehende toxische Wirkung weitgehend verhindert.“
Erfolge im Mausmodell
Die Wissenschaftler testeten ihr Click-to-Release-Konzept im Mausmodell. Dabei wurden zwei Infektionsstellen mit dem Bakterium Escherichia coli herbeigeführt: einmal im Oberschenkel und einmal in der Lunge. Das maskierte Colistin wurde über die Blutbahn verabreicht, die chemischen Schalter über ein Nasenspray inhaliert. So sollte sichergestellt werden, dass sich das maskierte Colistin gleichmäßig im Körper verteilte, die Schalter aber nur an die Bakterien in der Lunge andocken konnten. „Mit diesem Versuchsansatz wollten wir testen, ob das maskierte Colistin im Körper tatsächlich nur dort aktiv ist, wo es auf die Schalterkomponente trifft“, erklärt Charoenpattarapreeda. Und genau das passierte: Die Bakterien in der Lunge wurden abgetötet, die Entzündung klang ab. Die Oberschenkelinfektion reagierte allerdings nicht, die Bakterien blieben vom maskierten Colistin unberührt und es zeigte dort keine Wirkung.
Ein weiter Weg
„In der vorliegenden Studie haben wir das erste systemisch wirkende Zweikomponenten-Antibiotikum entwickelt, das per Click-to-Release-Chemie beim Erreger aktiviert wird“, sagt Brönstrup. „Dadurch ist es möglich, Colistin in hoher Konzentration nur dort einzusetzen, wo es benötigt wird – nämlich direkt beim Erreger selbst. Nebenwirkungen können so vermieden oder reduziert werden.“ Die Forscher hoffen, dass dieser Ansatz in Zukunft dazu beitragen kann, die Nebenwirkungen von Antibiotika und anderen Medikamenten zu minimieren und sie für Patienten verträglicher zu machen. „Bis dahin ist allerdings noch viel Forschungsarbeit nötig. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg“, sagt Brönstrup. „Aber es könnte sich lohnen!“
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