Blutdruck: 120 ist das neue Normal


von

Astrid Janovsky

Sind die neuen Blutdruck-Zielwerte noch zu erreichen?AdobeStock_623800449/Markus Kammermann

Bislang galten Blutdruckwerte bis 130 mmHg als normal. Neue Regeln sollen nun das Leben von Millionen Europäer:innen mit Bluthochdruck verändern. Als erhöhter Blutdruck gelten in Zukunft schon Werte ab 120 mmHg systolisch. Auch die Zielwerte bei medikamentöser Therapie rutschen nach unten.

Rund 45 Prozent der Erwachsenen in Europa leiden an Hypertonie. Der Bluthochdruck ist der bedeutendste Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall. Auch bisher gab es schon diverse Empfehlungen. “Optimal” war demnach laut den ESC-Experten ein Blutdruck von weniger als 120 mmHg systolisch und weniger als 80 mmHg diastolisch. Als “normal” wurde der Bereich zwischen 120/80 und 129/84 mmHg eingestuft. 130/85 bis 139/89 mmHg galt als “hochnormal”. Als Hypertonie wurden bisher Werte über 140/90 mmHg bezeichnet. Es gibt weitere Abstufungen nach oben.

Neue Kategorie: “erhöhter Blutdruck”

Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie präsentierte am Freitag bei ihrem Jahreskongress in London die neuen Leitlinien. Demnach wurde in die Empfehlungen des Jahres 2024 eine neue Kategorie eingeführt: Erhöhter Blutdruck. “Das ist definiert als ein Blutdruck von 120 bis 139 mmHg zu 70 bis 89 mmHg. Diese neue Kategorie wurde geschaffen, um zum früheren Überlegen einer intensiveren Blutdruckbehandlung bei Menschen mit einem erhöhten Herz-Kreislauf-Risiko zu führen”, hieß es in einer Aussendung der größten medizinischen Fachgesellschaft Europas.

Gefahr für Risikogruppen ab 120 mmHg

“Diese neue Kategorie soll zeigen, dass die Menschen nicht über Nacht von einem ‘normalen’ Blutdruck zu einer Hypertonie wechseln. In den meisten Fällen ist das ein langsamer Übergang. Manche Personengruppen, zum Beispiel jene mit einem höheren Risiko für das Entstehen einer Herz-Kreislauf-Erkrankung (wie etwa Diabetiker), könnten schon von einer intensiven Behandlung profitieren, bevor sie die traditionelle Grenze zur Hypertonie erreichen”, sagte Bill McEvoy von der Universität von Galway in Irland, einer der Vorsitzenden des Leitlinien-Expertenkomitees. Co-Autor Rhian Touyz von der McGill Universität (Kanada) ergänzte: “Die Gefahren, die mit einem erhöhten Blutdruck einher gehen, beginnen schon bei Werten von 120 mmHg.”

Früheren Behandlungsbeginn andenken

Damit existiert in den europäischen Hypertonie-Leitlinien nun mit der neuen Kategorie des “erhöhten Blutdrucks” (120 bis 139 mmHg zu 70 bis 89 mmHg) ein breiter Bereich unterhalb der gleich bleibenden eigentlichen Bluthochdruck-Definition ( >140/90 mmHg), in dem bereits eine Behandlung überlegt werden kann bzw. überlegt werden sollte. Ein früherer Behandlungsbeginn ist das Ziel der Änderung.

Therapie-Zielwert 120-129

Ganz wesentlich ist aber auch noch eine zweite Änderung in den ESC-Empfehlungen, so die Fachgesellschaft: “Die aktualisierten Leitlinien etablieren auch einen neuen Zielwert für die medikamentöse Bluthochdruck-Behandlung von 120 bis 129 mmHg systolisch für die meisten Betroffenen. Das unterstreicht die Bedeutung einer intensiven Therapie gleich als ersten Schritt.” Ausgenommen wären Patienten, die eine Therapie mit diesen Zielwerten nicht vertragen oder andere Umstände dagegen sprechen.

Von Beginn weg intensive Behandlung

Dieser neue systolische Zielwert ist ein Paradigmenwechsel, wie die ESC feststellte. Bisher galt generell ein erster Zielwert unter medikamentöser Behandlung von zumindest weniger als 140/90 mmHg. In einem zweiten Schritt sollten dann Pegel von weniger als 130/80 mmHg erreicht werden. “Diese Änderung kommt nach Studienergebnissen, wonach eine intensivere Blutdruckbehandlung mit besseren Ergebnissen zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen über ein breites Spektrum von Patienten einher geht”, sagte McEvoy.

Leitlinien und Zielwerte sind eine Sache, die Realität für die Patienten eine andere. Es gibt Daten, wonach in Österreich rund die Hälfte der von Bluthochdruck Betroffenen gar nichts von ihrer Erkrankung weiß. Weiters dürften nur 30 bis 40 Prozent der Patienten tatsächlich einen Blutdruck mit den empfohlenen Werten erreichen.

APAMED

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