Antidepressivum gegen Hirntumor?


von

Astrid Janovsky

Antidepressiva überwinden die Blut-Hirn-Schranke und können so auch auf Tumore wirken.AdobeStock_791533277/ladislav

Forscher:innen der Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH) zeigen mit einem von ihnen entwickelten Wirkstoff-Screening, dass das Antidepressivum Vortioxetin Zellen des gefürchteten Glioblastoms tötet – zumindest in der Zellkulturschale.

Das Glioblastom ist ein besonders aggressiver Hirntumor, der bisher nicht heilbar ist. Krebsmediziner:innen können den Betroffenen durch Operation, Bestrahlung und Chemotherapie und operativen Eingriffen mehr Lebenszeit verschaffen. Trotzdem stirbt die Hälfte der Patient:innen innerhalb von zwölf Monaten nach der Diagnose.

Problem: Blut-Hirn-Schranke überwinden

Wirksame Medikamente gegen im Hirn wuchernde Tumore sind schwierig zu finden, da viele Krebsmedikamente oft nicht ins Hirn gelangen, weil sie die die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren. Das schränkt die Auswahl an möglichen Behandlungen ein. Neuro-Onkolog:innen suchen deshalb seit längerem intensiv nach besseren Medikamenten, die das Gehirn erreichen und den Tumor eliminieren.

Nun haben Forschende der ETH Zürich einen Wirkstoff gefunden, der Glioblastome zumindest im Labor wirksam bekämpft. Dabei handelt es sich um das Antidepressivum Vortioxetin. Von ihm ist bekannt, dass es die Blut-Hirn-Schranke passieren kann, es ist beispielsweise durch Swissmedic zugelassen und kostengünstig.

130 Substanzen getestet

Gearbeitet wurde mit der speziellen Screening-Plattform Pharmakoskopie, einer Entwicklung der ETH. Damit können die Forschenden gleichzeitig hunderte von Wirkstoffen an lebenden Zellen aus menschlichem Krebsgewebe testen. In ihrer Studie konzentrierten sie sich vor allem auf neuroaktive Substanzen, die die Blut-Hirn-Schranke passieren, wie zum Beispiel Antidepressiva, Antiparkinsonmittel oder Antipsychotika. Insgesamt testeten sie 130 verschiedene Mittel an Tumorgewebe von 40 Patient:innen. Durch Bildgebungsverfahren und Computeranalysen stellten die Forschenden fest, welche Substanzen auf die Krebszellen wirken.

Mehrere Antidepressiva wirksam

Für das Screening analysierte die Forschenden frisches Krebsgewebe von Patient:innen, die kurz zuvor am Universitätsspital Zürich operiert wurden. Dieses Gewebe wurde dann im Labor aufbereitet und auf der Pharmaskopie-Plattform gescreent. Zwei Tage später hatten die Forschenden das Ergebnis, welche Mittel gegen die Krebszellen wirkten und welche nicht.

Bei den Tests zeigte sich, dass einige – aber nicht alle – der getesteten Antidepressiva überraschend wirksam gegen die Tumorzellen waren. Diese Medikamente wirkten besonders gut gegen den Hirntumor, wenn sie rasch eine Signalkaskade auslösten, die für neurale Vorläuferzellen wichtig ist, aber auch die Zellteilung unterdrückt. Vortioxetin erwies sich dabei als das wirksamste Antidepressivum.

Kombination mit Standardtherapie

Die ETH-Forschenden nutzten zudem ein Computermodell, um über eine Million Substanzen auf ihre Wirksamkeit gegen Glioblastome zu testen. Dabei stellten sie fest, dass die gemeinsame Signalkaskade von neuralen Zellen und Krebszellen eine entscheidende Rolle spielt. Diese Signalkaskade erklärt, warum einige neuroaktive Medikamente wirken und andere nicht.

Schliesslich testeten Wissenschfter:innen Vortioxetin an Mäusen mit einem Glioblastom. Das Medikament zeigte auch in diesen Versuchen eine gute Wirksamkeit, besonders in Kombination mit der aktuellen Standard-Behandlung.

Vortioxetin: sicher und kostengünstig

“Der Vorteil von Vortioxetin ist, dass es sicher und sehr kostengünstig ist”, sagt Michael Weller, Professor am Universitätsspital Zürich und Direktor der Klinik für Neurologie. “Da das Medikament bereits zugelassen ist, muss es kein aufwendiges Zulassungsverfahren durchlaufen und könnte bald die Standardtherapie bei diesem tödlichen Hirntumor ergänzen.” Er hofft, dass es Onkolog:innen bald einsetzen können.

Allerdings warnt er Patient:innen und ihre Angehörigen davor, Vortioxetin selbst zu besorgen und ohne ärztliche Aufsicht einzunehmen. “Wir wissen noch nicht, ob das Medikament bei Menschen wirkt und welche Dosis erforderlich ist, um den Tumor zu bekämpfen. Deshalb sind klinische Studien notwendig. Eine Selbstmedikation wäre ein unkalkulierbares Risiko.”

MEDWISS.ONLINE



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