Eine umfassende Literaturstudie deutscher Wissenschafter mit mehr als 20.000 Patient:innen zeigt, dass etwa 15 Prozent der Betroffenen beim Absetzen von Antidepressiva Symptome erleben. Diese Ergebnisse unterstreichen, laut Forscher:innen die Notwendigkeit ärztlicher Begleitung.
Im Jahr 2022 wurden in Deutschland 1,8 Milliarden Tagesdosen an Antidepressiva verschrieben. Auch in Österreich gehören diese zu den häufigsten Medikamenten. Das Thema des Einnahme-Stopps und dessen Konsequenzen sei daher von großer Relevanz, erklärte die Berliner Universitätsklinik Charité in einer Aussendung.
Nach formaler Definition machen Antidepressiva nicht abhängig. Ihre Einnahme führe nicht dazu, dass der Körper, anders als bei „echten“ Suchtmitteln, eine immer höhere Dosis benötige, heißt es weiter. Dennoch berichten einige Patient:innen nach Absetzen der Stimmungsaufheller von Symptomen wie Schwindel, Kopfschmerzen oder Schlafstörungen.
Bisherige Studienlage nicht aussagekräftig
Studien, die das Ausmaß von Absetzsymptomen bei Antidepressiva untersucht haben, kamen zu teilweise sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Um diese Frage verlässlicher zu beantworten, hat man nun die bestehende Studienlage systematisch durchforstet und neu ausgewertet. Für die Untersuchung sichteten die Wissenschafter mehr als 6.000 Studien, von denen sie 79 Arbeiten auswählten und deren Ergebnisse statistisch neu analysierten. So kamen Daten zu rund 21.000 Personen zusammen, die entweder ein Antidepressivum oder ein Placebo erhalten hatten und anschließend zur Häufigkeit von Absetzerscheinungen befragt worden waren.
Zwar berichteten rund 31 Prozent der mit einem wirksamen Medikament behandelten Patient:innen von Absetzsymptomen, darüber klagten jedoch auch 17 Prozent derjenigen, die nur ein Placebo verabreicht bekommen hatten. Laut Studienautor:innen seien in der Placebo-Gruppe medikamentöse Effekte auszuschließen.
Fazit
FazitNach Ausschluss der unspezifischen Symptome und dem Effekt der Erwartungshaltung (Nocebo-Effekt) kam man zu dem Ergebnis, dass etwa jede sechste oder siebte Person von Absetzerscheinungen betroffen ist, die tatsächlich durch die Antidepressiva-Medikation verursacht werden. Diese Symptome seien größtenteils mild. In den meisten Fällen sei daher kein langwieriges oder kleinschrittiges Ausschleichen der Medikation nötig.
Eine von 35 Personen, knapp drei Prozent der Betroffenen, entwickelte jedoch schwere Absetzsymptome. Diese traten häufig nach Beendigung der Therapie mit den Wirkstoffen Imipramin, Paroxetin, Venlafaxin und Desvenlafaxin auf. Deshalb sollte ein Absetzen der Antidepressiva auf jeden Fall unter ärztlicher Kontrolle erfolgen.
Die Studie wurde kürzlich im Fachjournal The Lancet veröffentlicht.
Incidence of antidepressant discontinuation symptoms: a systematic review and meta-analysis