Am westlichsten Ende Österreichs – oder am östlichsten des Bodensees – im schönen Lochau liegt die Martin-Apotheke. Der Apotheken-Inhaber will mit seiner Stromgitarre und den langen Haaren nicht so recht ins Bild der ländlichen Idylle passen, doch die Bevölkerung ist stolz auf „ihren“ Apotheker. Ein Porträt über einen, der nie aufgehört hat, seinen Traum zu leben.
Um ein Haar wäre Mag. pharm. Klaus Michler nicht in die elterlichen Fußstapfen getreten und Apotheker geworden. Dabei ist die Apotheke, die er mittlerweile seit 25 Jahren führt, ein echter Familienbetrieb. Von der Mutter 1966 quasi als „One-Woman-Show“ gegründet stieg der Vater ein paar Jahre später in den Betrieb ein und absolvierte unter der Ägide seiner Frau erste einmal das Aspirantenjahr. Eine Konstellation, die in den 60er Jahren alles andere als selbstverständlich war, und vielleicht schon ein bisschen den rebellischen Geist der Michlers offenbarte.
Komischer Geruch in der Apotheke
Damals war die Apotheke 24/7 in Bereitschaft und das Angebot hatte mit der angbauten Drogerie weit über das bekannte Apothekensortiment hinausgereicht. Drogerieartikel stellten einen großen Teil des Portfolios und man fand bei den Michlers ein breites Spektrum an Waren, von Xyladecor-Beize, über Babynahrung bis hin zum Farbfilm, den man dann auch zum Entwickeln abgeben konnte. „In der Drogerie hat es immer gerochen wie in einer Farbenhandlung“, erinnert sich der Apotheker wenig begeistert zurück. Weil die Eltern stark vom Apothekengeschäft vereinnahmt waren, wurden der kleine Klaus und seine Geschwister von der Wiener-Oma großgezogen.
Neben der Pharmazie wurde Michler die Musik in die Wiege gelegt. „Mein Vater war passionierter Sänger und hat immer mit uns gesungen“, erzählt der Musiker mit der Lizenz zum Tablettenverkauf. „Es hat also immer schon Liedgesang gegeben.“ Die Stromgitarre entdeckte er mit zarten zwölf Jahren. Deep Purple und The Sweet waren die ersten musikalischen Leitbilder des jungen Vorarlbergers. Mit 16 folgte der Wechsel von der Rockmusik in jazzigere Gefilde (Mahavishnu Orchestra). Da kam auch die Phase der ersten – heute noch markanten – Langhaarfrisur. Nur zu Studienzeiten gab es die Variante „Bürstenschnitt“. „Wie Tom Cruise in Top Gun“, erklärt Michler. Aha – es existierten also auch Vorbilder jenseits der Musikwelt.

Ansonsten war aber die Gitarre der alles bestimmende Lebensinhalt. Deshalb zog es Michler mit 18 nach Graz, um dort Jazz-Gitarre zu studieren. Das Schicksal (oder das Aufnahmegremium) hatte aber andere Pläne und so fuhr der Doch-nicht-Musikstudent weiter nach Wien. „Aus jetziger Sicht war es ein Fehler, dass ich nicht noch einmal angetreten bin“, bereut Michler ein wenig die verpasste Chance. In der Hauptstadt war der Plan, Lehramt zu studieren. Und nein, es sollte weder Musik noch Chemie werden. Latein und Philosophie standen oben auf der Hitliste.
Abermals hatte das Schicksal seine Finger im Spiel – und Michlers Pragmatismus. Denn Inskribieren konnte im letzten Jahrtausend ein ganz schön bürokratischer Spießrutenlauf sein. Irgendwie stolperte Michler in dem Prozess über die Studienberatung Pharmazie und fasste den finalen Entschluss: „Wenn du schon nicht machen kannst, was dein Herzenswunsch ist, dann mach halt das, wo du einen sicheren Job hast.“ Wobei er von der Musik nicht lassen konnte: Parallel zum Studium wurden zahlreiche musikalische Ausbildungen begonnen – aber nie vollendet. „Immer, wenn es im Studium kritisch wurde, habe ich die Gitarre zur Seite gestellt und gelernt“, erklärt der Apotheker und lacht, „Da ist dann der g´hörige Vorarlberger in mir durchgeschlagen.“
Lieber eigene Projekte
Wir wissen heute: Das Studium wurde beendet und final im Jahr 2000 auch die elterliche Apotheke übernommen. Die Musik aber hatte und hat immer einen großen Platz im Leben des Apothekers. „Ich habe einen gewissen künstlerischen Anspruch“ erklärt er, warum er lieber eigene Projekte auf die Beine stellt, anstatt in einer Cover-Band zu spielen. Obwohl er auch das viele Jahre gemacht hatte. „Ich war eine hired gun“ erzählt er und übersetzt gleich, „Das heißt, dass ich von verschiedenen Bands engagiert wurde.“ Beim Angebot welcher Musikgruppe könnte er heute noch schwach werden? „Ach, ich könnte mir vieles vorstellen“, sagt Michler und die Augen funkeln. Es fallen Namen wie Red Hot Chilli Peppers und Green Day. „Aber ich würde auch gerne mit Fusion-Bands spielen.“

2019 verwirklichte er seinen Lebenstraum, produzierte eine CD mit eigener Musik und war zum ersten Mal auch Produzent. Dafür engagierte der Gitarrero Profimusiker, die mit ihm ins Aufnahmestudio gingen. Apothekenqualität also auch beim Tonträger.
Wie reagiert man denn im beschaulichen Lochau auf einen Stromgitarre-spielenden Apotheker mit langen Haaren? „Ich würde mich nicht als angepasst bezeichnen“, lacht Michler, „und ist der Ruf erst ruiniert…“. Es wäre ihm schon immer egal gewesen, was die anderen über ihn sagten. „Natürlich war es am Anfang für viele ungewohnt, dass da so ein Langhaariger der neue Apotheker sein soll.“ Das hat sich aber bald gelegt. „Mittlerweile bin ich sowas von etabliert und mit dem halben Dorf per du.“ Was ihn aber besonders freut: Dass nicht nur seine pharmazeutische Expertise geschätzt wird, sondern auch sein Musikverständnis. „Ich habe kürzlich bei einer Jam Session mitgemacht“, erzählt Michler und lächelt, „da wurde gefragt, wer denn der mit den langen Haaren sei. Darauf eine Zuhörerin mit merklichem Stolz: „Das ist unser Apotheker, aber der spielt auch super Gitarre.““
Der musikalische Apotheker hat aber ebenso ein Herz für Kreativität in der bildenden Kunst. Als 2021 der Apothekenumbau anstand, wurde daraus kurzerhand ein Malprojekt. Die Klasse seines Sohnes durfte unter Leitung der engagierten Lehrerin die Bauzäune mit Graffiti besprühen. Bilder der fröhlichen Baustellenumrandung findet man noch heute im Netz. In der Apotheke selbst herrscht eher „klassischer“ Betrieb. Homöopathie wird selbst produziert und die Rezeptur ist generell sehr gefordert: „Progesteron-Kapseln produzieren wir mittlerweile fast am Fließband. Und wir haben einen Arzt in der Nähe, der Laserbehandlungen durchführt. Mit dem haben wir gerade eine Betäubungscreme entwickelt.“ Man legt hier also Wert auf echtes Apothekenhandwerk und pharmazeutische Kompetenz. Und auf Beratungsqualität. „Das ist mir sehr wichtig“, betont der Apotheker. „Ich schaue, dass alle, die im Verkauf arbeiten, in der Beratung top sind.“

Die Zukunftsperspektive: „Ich möchte gerne wieder mehr Musik machen.“ Wer den Rockstar live erleben will, sollte also demnächst Gelegenheit haben. Informationen zu den anstehenden Projekten gibt es auf seiner Musiker-Homepage https://km-special.rocks/ – man kann den Helden der Stromgitarre aber auch für Auftritte buchen. Vielleicht wäre das ja einmal eine spannende Einlage für den Pharmazieball? Wer sich vorab schon in Michlers Musik vertiefen möchte, kann das via Youtube oder Spotify tun. Man sieht also: Es gibt immer einen Weg, seinen Traum zu verfolgen – selbst wenn man Apotheker ist.