Das Gehirn in der Zuckerfalle


von

Astrid Janovsky

Zucker unterbindet die Nährstoffversorgung im Gehirn.AdobeStock_804292755/olga_demina

Weltweit steigt das Aufkommen neurologischer Erkrankungen. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie und die Deutsche Hirnstiftung warnen vor dem viel zu hohen Zuckerkonsum, denn dieser schädigt die Hirngesundheit.

Die „Global Burden of Disease Study“ der Bill & Melinda Gates Stiftung untersucht seit 1990 die Zahl der Todesfälle und verlorenen Lebensjahre für 288 Erkrankungen. In der aktuellen Auswertung der Daten von 2021 finden sich gleich zwei neurologische Erkrankungen in den Top 10 der häufigsten Todesursachen: Schlaganfall und Demenz.

Neurotoxische Substanz

Anlässlich des „World Brain Day“ am 22. Juli 2024 wollen die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Hirnstiftung die Bedeutung der Prävention betonen und dabei den Fokus auf Zucker als neurotoxische Substanz richten. „Natürlich ist es so, dass hier die Dosis das Gift macht, denn das Gehirn als Höchstleistungsorgan des Körpers benötigt Glukose, um zu funktionieren. Das ist der Grund, warum unterzuckerte Menschen ohnmächtig werden“, erklärt Prof. Dr. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung. „Doch bei einer dauerhaften Erhöhung des Blutzuckerspiegels durch zu viele und zu üppige Mahlzeiten und durch das ständige Naschen und „Snacken“ nebenbei bringen wir das Fass zum Überlaufen und befeuern die Entstehung von neurologischen Krankheiten, allen voran auch von Demenz und Schlaganfällen.“

Zu hoher Zuckerkonsum

Der Zuckerverbrauch in Österreich liegt aktuell bei 34 Kilogramm pro Kopf und Jahr und ist damit fast doppelt so hoch wie die empfohlene Menge. Allerdings ist der Konsum in den letzten Jahren kontinuierlich rückläufig. 1994 waren es noch 41 Kilogramm. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. (DGE) spricht sich dafür aus, dass maximal zehn Prozent der Energie aus Zucker stammen sollten. Bei 2.000 Kilokalorien (durchschnittlicher Kalorienbedarf pro Tag) sind das 50 Gramm pro Tag, also 18 kg im Jahr. Dazu zählt nicht nur der zugesetzte Zucker, sondern auch der natürlich enthaltene, z. B. in Früchten, Honig oder Säften.

Verminderte Durchblutung

Warum ist Zucker so schlecht für das Gehirn? In großen Mengen konsumiert führt Zucker zu Ablagerungen an den Gefäßwänden, was zu einer Verengung und Minderdurchblutung führt. Nach Alzheimerforschung ist die Mangelversorgung mit Nährstoffen Hauptursache für Demenz. Das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz schätzt die Zahl der Demenzerkrankten in Österreich auf 130.000 bis 150.000. Hinzu kommt, dass komplexe Zuckermoleküle im Gehirn, sogenannte Glykosaminoglykane, auch direkt die Kognition einschränken können. Sie beeinträchtigen die Funktion der Synapsen, den Schaltstellen zwischen den Nervenzellen, und somit die neuronale Plastizität. Es handelt sich dabei um die Fähigkeit von Nervenzellen und Gehirnarealen, sich anzupassen und bei Bedarf zu erweitern, eine wichtige Eigenschaft für die kognitive Entwicklung und das Lernen.

DM II erhöht Risiko

Bereits vor 20 Jahren hatte eine Studie ergeben, dass eine fett- und zuckerreiche Kost die neuronale Plastizität stört und langfristig auch die Funktion des Gedächtnisareals im Gehirn, den Hippocampus, beeinträchtigt. Eine aktuelle, große Metaanalyse kommt zu ähnlichen Erkenntnissen: In den 2 bis 12 Stunden nach Zuckerkonsum erhöht sich zwar kurzfristig die geistige Leistungsfähigkeit, aber durch dauerhaften Zuckerkonsum wird die kognitive Funktion nachhaltig geschädigt. Außerdem gibt es noch eine indirekte hirnschädigende Wirkung von zu hohem Zuckerkonsum auf das Gehirn über Diabetes mellitus. Seit den 90er Jahren ist bekannt, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes ein deutlich erhöhtes Demenzrisiko aufweisen.

Gehirn fordert Zucker

Die neurologischen Gesellschaften raten zu einem maßvollen, bewussten Zuckerkonsum. Das ist für viele aber gar nicht so leicht – und der Grund dafür liegt paradoxerweise im Gehirn. Denn bereits kleine Zuckermengen im Darm senden über den Vagusnerv Signale ans Gehirn, die dort ein weiteres Verlangen nach Zucker auslösen. „Das könnte der Grund dafür sein, dass manche nach einem Stück Schokolade schnell mal die ganze Tafel aufgegessen haben“, kommentiert Prof. Dr. Erbguth diese Forschungsergebnisse. „Außerdem wird bei Zuckerkonsum im Gehirn Dopamin ausgeschüttet, ein ‚Wohlfühlhormon‘, was dazu führt, dass man immer mehr davon möchte. Es ist sinnvoll, durch weitgehenden Verzicht auf Zucker diesem Teufelskreis zu entgehen“, erklärt Prof. Dr. Peter Berlit, Generalsekretär und Pressesprecher der DGN. „Die Anstrengung lohnt sich. Allein 40 Prozent aller Demenzfälle und 90 Prozent aller Schlaganfälle sind vermeidbar und viele von ihnen gehen auf das Konto von Industriezucker.“

Medwiss.online



Newsletter

Bleiben Sie stets informiert!